Dienstag, 19. Juni 2007

Viel Elend in Isibindi

Mrs Nel ist auch heute nicht da. Dafür haben die Leute aus dem Development Office heute die Telefonrechnung bezahlt und ich darf schnell meine Emails lesen und abschicken. Für heute hat der Bischof ein großes Priestermeeting einberufen, und ich treffe viele ältere deutsche Priester die seit vielen Jahren in der Mission leben. „Ach ja, die Sternsinger ...“ Die meisten von ihnen haben wohl schon einmal von uns Geld bekommen.

Um 10 Uhr kommt Schwester Raphaela (Sisters of the Holy Cross) mich abholen. Die Freude ist groß, haben wir doch in den letzten Jahren immer mal wieder miteinander telefoniert und viele Emails hin- und hergeschickt.

Bis Cala brauchen wir ungefähr eine Stunde. Die kleine Stadt am Fuße der Berge macht einen sehr beschaulichen Eindruck, doch auch hier weit und breit die kleinen zusammen gezimmerten Hütten, zwischen RDP-Häusern (neueren und älteren Stils), manche wurden nie fertiggestellt. Oft haben die Bauunternehmer nur die Hälfte ihres Auftrags erledigt und sind dann mit dem Geld verschwunden. Die Menschen, die schon sehr lange auf ein Haus warten, sind die Leidtragenden.

Das Projekt in Cala ist in de 80er Jahren als Kinderheim für schwarze Kinder gegründet worden. Ende 2004 musste es aus verschiedenen Gründen geschlossen werden.
Die Schwestern wurden immer älter, während die Anforderungen an sie immer größer wurden. Junger Nachwuchs bei den Schwestern war nicht in Sicht. Und der Staat drängte massiv, viele von HIV/Aids betroffene Kinder in ihrer Großfamilie bzw. in Pflegefamilien unterzubringen, anstatt nur wenige Priviligierte in guten Waisenhäusern zu versorgen.

Die meisten Kinder konnten mit Hilfe von Child Care Workers in ihren eigenen Grossfamilien bzw. in Pflegefamilien untergebracht werden. Die wenigen übrigen Kinder wurden von anderen Kinderheimen aufgenommen.
Das gelingt allerdings nu, wenn die aufnehmenden Familien entsprechend gefördert werden. Gemeinsam mit den Child Care Workers werden die verschiedenen „grants“ für die Kinder beantragt, so dass eine finanzielle Basis da ist. Zum Teil ist es ein extrem mühseliger Prozess, bis alle Papiere beisammen sind und der „grant“ bewilligt ist. In der Zwischenzeit werden die Familien aus Spenden unterstützt, die von Schwester Raphaela verwaltet werden. Zusätzlich erhalten die Familien „food parcels“ - Nahrungspakete.

Inzwischen hat das Projekt unter dem Namen „ISIBINDI Creating Circles of Care – Project Cala“ im ganzen Land Anerkennung erfahren. In ISIBINDI erfahren HIV-Infizierte, Aidskranken und von HIV/Aids betroffenen Müttern und Kindern Beistand, werden versorgt und gepflegt. Waisen erhalten emotionalen, psychologischen, erzieherischen und geistlichen Beistand. Die 17 ausgebildeten Child Care Workers betreuen rund 230 Kinder in Familien und elternlosen Haushalten, den sogenannten „child headed households“.
Die Child Care Workers kommen aus dem direkten Umfeld der Kinder. Anfangs erhielten diese Freiwilligen nur eine kleine finanzielle Anerkennung. Inzwischen wird ihnen eine anerkannte Ausbildung ermöglicht und ein kleines Entgelt gezahlt. Die Kosten für die Ausbildung übernimmt die NACCW (National Association of Child Care Workers). Die Gehälter kommen aus wechselnden Fonds, was allerdings immer wieder ein gewisses Risiko in sich birgt. Schwester Raphaela sorgt jedoch zuverlässig dafür, dass alle Child Care Workers regelmässig ihr Gehalt bekommen. Es gibt einen Gemeinschaftsgarten, in dem jede Familie aus dem Projekt rund 20 qm Fläche bewirtschaften kann. Falls notwendig, werden durch das Projekt auch zusätzliche Kosten, beispielsweise für Schuluniformen übernommen.

Wir machen zwei Hausbesuche. Die erste besuchte Familie sitzt draußen in der Sonne. Großmutter, Mutter und drei Kinder. Der kleinste ist nur wenig älter als unser Jonas. Die Mutter der Kinder ist an Aids erkrankt. Sie ist sehr schwach und kann sich kaum noch um ihre Kinder kümmern, dies tut überwiegend die Großmutter. Die Sorge der Child Care Workerin Linda ist vor allem der Kleinste der Familie, er ist bisher nicht auf HIV getestet worden, weil er zu jung war. Die Großmutter soll aber unbedingt daran denken.

In der Familie herrscht eine so starke depressive Stimmung gegen die auch die Child Care Workerin kaum ankommt. Fünf Erwachsene und vier Kinder leben eng zusammen auf wenigen Quadratmetern. Die Mutter von zweien der Kinder habe ich zunächst für die Großmutter gehalten, so alt, schwach und gebrechlich war sie. Jedoch ist sie nicht älter als 40. Einer der Brüder der Frau lehnt apathisch an der Wand. Er wird auf Tuberkulose getestet, einen HIV-Test will er nicht machen lassen. Die Child Care Workerin erzählt, dass es oft die Männer sind, die jegliche Art von Veränderung und damit auch Verbesserung blockieren. Neben HIV/Aids sind Kindesmisshandlungen und Vergewaltigungen ein sehr großes Problem. Viele Mütter trauen sich kaum noch ihre Kinder alleine oder in der Obhut eines männlichen Verwandten oder Nachbarn zu lassen.

Zum Schluss besuchen wir den Safe Park. In dem Safe Park (abgesicherter Spiel- und Sportplatz), können die Kinder unter Aufsicht spielen, malen und basteln. Gleichzeitig bietet der Safe Park den Child Care Workers die Möglichkeit, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen und Auffälligkeiten wahrzunehmen. Heute spielen und toben hier viele Kinder. Da die Schulen immer noch bestreikt werden, ist es für die Kinde noch wichtiger als sonst, sich hier treffen und austoben zu können.

Es ist fünf Uhr nachmittags und die Sonne wirft lange Schatten. Der Wind wird kälter und erinnert uns daran, dass hier Winter ist. In einer Stunde wird es dunkel sein und eisig kalt. In den Wellblechhütten versuchen die Menschen mit kleinen Parafinöfen ein wenig Wärme zu schaffen.
Ich hingegen habe nicht nur ein gemütliches Zimmer im Schwesternkonvent am Rande von Ndondo Square, einem Stadteil für die arme Bevölkerung Calas, sondern auch eine Wärmflasche für meine kalten Füße, denn selbst dieses massive Gebäude wird nachts ganz schön kalt.

Auf meinen Reisen durch Afrika habe ich schon viel Elend gesehen und bin sicher einiges gewöhnt. Aber nach dem heutigen Nachmittag stehen selbst mir die Tränen in den Augen.